Der Begriff "Aristokratie" bezeichnet sowohl eine
spezifische Herrschaftsform (die "Herrschaft der
Besten") als auch eine bestimmte gesellschaftliche Schicht (den
"Adel"). Als soziale Formation zeichnet sich die Aristokratie durch
rechtliche, wirtschaftliche und soziokulturelle Kennzeichen und Praktiken aus
und hebt sich so von anderen Bevölkerungsschichten (dem "Volk") ab.
Abstammung und Reichtum, formale Abzeichen, distinktiver Lebensstil, kohärentes
Selbstverständnis als Gruppe ("Elite") und ein eigener Verhaltenscode
sind wesentliche Elemente einer Aristokratie.
W. Conze formuliert dies in seinem Artikel in den
"Geschichtlichen Grundbegriffen" wie folgt: „Zur rechtlichen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtstellung des Adels gehörten ein
anspruchsvolles Selbstbewußtsein, Typusstilisierung und ‚Tugend‘-Ethos sowie
die Anerkennung des adligen Status und Prestiges durch das
Volk.“ Conze/Meier 1972, 1).
Vgl. auch die Definition von H. Beck/P. Scholz/U.
Walter: Aristokratie ist „die legitime öffentliche Herrschaft einer
aufgrund ihrer ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen
Überlegenheit herausgehobenen Schicht, die ihre Prominenz zugleich
ethisiert (nichts anderes meint ja die ‚Herrschaft der Besten‘)“.
(Beck/Scholz/Walter 2008, 2).
Ausführlicher noch U. Walter: „Aristokratie meint […]
zum einen eine herausgehobene Gruppe von Vornehmen, wobei die in der Regel
konstitutiven Zugehörigkeitskriterien – rechtlicher Stand, sozialer Status,
Besitz, „Ehre" und Prestige, Verwandtschaft und Abstammung, Tradition,
überhöhende Selbstbeschreibung, exklusive Tätigkeiten, Welt- und
Situationsgewandtheit – und die damit verbundenen Praktiken, etwa Abschließung,
Distinktion und Lebensstil, für die Untersuchung im Vordergrund stehen. Weiter
erscheint evident, daß ein Vorrang auf Dauer nur zu behaupten war, wenn die Familien
von täglicher Arbeit freigestellt, wenn sie ein abhängiges Gefolge unterhalten
und durch Sozialisation und Bildung dem Nachwuchs einen bestimmten Lebensstil
überliefern konnten, zu dem auch die Übung im Herrschen (im Sinne von
Herr-Sein) gehörte. Der Begriff Aristokratie bezieht sich demnach zum anderen,
ausgehend von der klassischen Staatsformenlehre, im engeren Sinne auf die
Herrschaftsdimension, also die Praxis aristokratischer Dominanz in politischen
Verbänden und deren Grundlegung beziehungsweise die Rolle des Adels in einem
gemischten oder von anderen Kräften (Monarch oder Volk) dominierten
Verfassungsgefüge.“ (Walter 2008, 367-368)
Als Merkmale antiker (insb. römischer) Aristokratie lassen
sich idealtypisch benennen:
- spezifisches
Traditionsbewußtsein (Monopolisierung der memoria),
"Selbst-Mythologisierung" (fiktive Genealogien etc.)
- stets
neu ausgehandelte Verhaltenscodes (konsensuales Element)
- Symbolisierung
der Prominenz (Kleidung, Verhalten etc.)
- Statuskongruenz/Uniformität
(weitgehende Homogenität der Elite)
- "gruppenspezifische
Konkurrenz" (um Ehrungen, Ämter, Rang etc.)
- Leistungsprinzip
inkl. Überprüfung/Überprüfbarkeit (Einsatz für die res publica)
- Permeabilität,
d. h. grundsätzliche Offenheit bei Erfüllung der Zugehörigkeitskriterien,
vs. Tendenz zur Exklusivierung
In Rom überschnitten sich zwei Formen von Aristokratie z. T.
zeitlich und personell:
- die Patrizier (patres):
Die patrizischen gentes führten sich selbst bis in die
Königszeit zurück und versuchten im 5. und 4. Jh. v. Chr., den Zugang zu
den politischen und kultischen Ämtern für sich zu monopolisieren. Dieser
Versuch scheiterte im Zuge der "Ständekämpfe".
- die Nobilität (nobiles):
Die Nobilität ist die im 4. Jh. v. Chr. entstandene neue Führungsschicht
aus amtsfähigen plebiischen und patrizischen Familien. Zur Nobilität
gehörte, wer in seiner gens einen kurulischen Beamten
bzw. (engere Definition nach Gelzer) einen Konsul vorweisen konnte. Dieser
Nobilität gehörten also wohl nicht alle patrizischen Familien an. Im 2./1.
Jh. v. Chr. entstammten >70% der Konsuln den Nobilitätsfamilien.
Hierzu C. Meier: ): „Mit dem Aufrücken plebeischer
Familien in die Magistrate bildete sich […] aus Patriciern und Plebeiern ein
neuer Adel unter dem Namen nobiles. […] Sie bildeten die relativ
kleine Führungsschicht innerhalb des Senats. Diese waren ausgezeichnet durch
besondere Rechte, z. B. das ius imaginum, d. h. das Recht, Bilder
magistratischer Ahnen im Haus aufzustellen und im Leichenzug mitzuführen. Darin
wurde das Signet dieses Adels deutlich, die Leistung für die res
publica, die im Magistrat vollbracht wurde und sich in der Erlangung
von Magistraten dokumentierte, derer man gedachte und die zugleich die
Nachkommen verpflichtete. In beispielloser Weise hat in Rom Adel und Führung
der res publica praktisch das gleiche bedeutet. Wer Politik
trieb, gehörte praktisch immer zum Adel (von Geburt aus – oder was die geringe
Zahl der Nachrückenden anging – durch Assimilation) und vor allem auch
umgekehrt: wer zum Adel gehörte, trieb Politik. […] Das Kriterium des
Amtes oder der Leistung ist für den römischen Adel spezifisch.“
(Conze/Meier 1972, 9)
Die römische Aristokratie ist also ganz wesentlich durch die
Bekleidung der vom Volk durch Wahl vergebenen Ämter bestimmt. Da diese Ämter
eine bestimmten Reihung folgten (cursus honorum), gliederte sich die
römische Aristokratie dementsprechend nach Rangklassen (Konsulare,
Paretorier etc.). Über die Position einer aristokratischen Familie in diesem
System entschied also letztlich das Volk (mit).
Für die römische Gesellschaft ist zudem charakteristisch,
daß die Aristokratie als solche institutionalisiert war, die Zusammensetzung
dieser Schicht aber relativ starken Fluktuationen unterlag. Dies gilt insb. für
die Formierungsphase (6.-3. Jh. v. Chr.). Generell läßt sich in Aristokratien
beobachten, daß es kaum jemals gelingt, den Status über drei Generationen in
männlicher Linie weiterzugeben. Dies erklärt insb. die Bedeutung von Adoptionen.,
Heiratsverbindungen und "erfundenen" Genealogien.
- Hans
Beck: Art. Nobiles, nobilitas. In: EAH 9 (Ne–Pl) 2013, 4802–4804. (s.
Anhang)
- Hans
Beck, Peter Scholz und Uwe Walter: Einführung: Begriffe, Fragen und
Konzepte. In: Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis,
Kommunikation und 'edler' Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit. Hrsg.
von Hans Beck/Peter Scholz/Uwe Walter. München 2008, 1–13.
- Guy
Bradley: Investigating Aristocracy in Archaic Rome and Central Italy.
Social Mobility, Ideology and Cultural Influences. In: „Aristocracy“ in
Antiquity. Redefining Greek and Roman Elites. Hrsg. von Nick Fisher/Hans
van Wees. Swansea 2015, 85–124.
- Werner
Conze und Christian Meier: Art. Adel, Aristokratie. In: Geschichtliche
Grundbegriffe. Band 1. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache
in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck.
Stuttgart 1972, 1–48.
- Walter
Eder, Hans Neumann und Elke Stein-Hölkeskamp: Art. Adel. In: DNP 1. A–Ari
1996, 106–110. (s. Anhang)
- Uwe
Walter: Aristokratische Existenz in der Antike und der Frühen Neuzeit.
Einige unabgeschlossene Überlegungen. In: Die Macht der Wenigen.
Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und 'edler' Lebensstil in
Antike und Früher Neuzeit. Hrsg. von Hans Beck/Peter Scholz/Uwe Walter.
München 2008, 367–394.