Undurchdringliche Wälder, Seen und Sümpfe –  viele Beschreibungen der Belarus im 19. und 20. Jahrhundert betonen die Urwüchsigkeit ihrer Landschaft, die häufig mit der Annahme einer vermeintlichen Zivilisationsferne einhergeht: Wie ein ethnographischer Bericht aus dem Jahre 1876 festhielt, führe die Anzahl der Sümpfe und Gewässer im Land dazu, dass jemand, der zum ersten Mal im Land sei, den Eindruck gewinnen könne, der Schöpfungsprozess, der aus der Trennung von Wasser und Land bestehe, sei hier noch nicht vollendet und dauere bis zum heutigen Tage fort. Das Narrativ des Defizitären ist bis heute prägend für die Geschichtsschreibung der Belarus; dieses Moment schwingt auch in der häufig zitierten Beschreibung des Landes als „letzter Diktatur Europas“ mit. In der Übung wollen wir diesen Zusammenhängen wie auch der engen Verflechtung der belarusischen mit der polnischen, litauischen und russischen Geschichte nachgehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 20. Jahrhundert.



Über viele Jahrhunderte hinweg lebte im östlichen Europa eine zahlenmäßig große jüdische Gemeinschaft. Sie war Teil einer vielsprachigen, multireligiösen Gesellschaft, die ihre Wurzeln in der polnischen Adelsrepublik der Frühen Neuzeit hatte. Zu einem ihrer Sinnbilder wurde das Schtetl, ein Marktflecken, dessen jüdische Einwohner – zumeist Händler, Gastwirte, Pächter, Fuhrleute oder Handwerker - mit ihren christlichen Nachbarn auf vielfältige Weise in Kontakt standen. In diese gleichermaßen von Konflikten wie von Neben- und Miteinander geprägte Welt drang der Staat im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter vor – etwa in Gestalt russischer Beamter, die neue administrative und wirtschaftspolitische Vorstellungen umsetzen wollten, oder in Form von Ethnographen, die den „exotisch“ anmutenden Alltag der Schtetlbewohner verzeichneten. Im Basiskurs beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit diesem von der Geschichtswissenschaft häufig als „Niedergang“ deklarierten Wandel des Alltagslebens im Schtetl des 19. Jahrhunderts und seinen Folgen. Dazu zählt die Migration nach Westeuropa und Übersee, aber auch die wachsende Nostalgisierung des Schtetls, die ihren Höhepunkt nach seinem endgültigen „Tod“ (Yehuda Bauer) infolge des Zweiten Weltkriegs und der Schoa erreichte.


Das Seminar thematisiert narrative, bildliche und filmische Repräsentationen des ´Balkan´ in der Neuzeit (18.-21. Jh.). Anhand unterschiedlicher Quellengattungen (z.B. Reisebericht, Roman, Historienbild, Karikatur, Film usw.) werden Wahrnehmungen und Vorstellungen von der Region als das ´europäische Andere´ dekonstruiert und mit Selbstbildern aus Südosteuropa kontrastiert. Des Weiteren werden Selbstrepräsentationen der südosteuropäischen Nationen und historische Mythen analysiert. Der Kurs führt  nicht zuletzt in die Analyse unterschiedlicher Quellengattungen und neuere Strömungen der Geschichtswissenschaft ein (icon turn). Anlass ist nicht zuletzt eine Foto-Ausstellung in der Staatsbibibliothek, die im November eröffnet wird.


Das Seminar findet ausschließlich in Präsenz statt. Bitte 3-G-Nachweise mitbringen!




Die Vorlesung führt anhand systematischer Fragestellungen in das Studium der südosteuropäischen Geschichte im „langen 19. Jahrhundert“ ein. Dabei stehen zum einen die Besonderheiten dieses Raumes, zum anderen die verschiedenen Ebenen der Verflechtung mit der europäischen Geschichte im Vordergrund. Besonders berücksichtigt werden transnationale und globalgeschichtliche Ansätze. Unter anderem werden die Folgen der Französischen Revolution, Nationalbewegungen und Nationalstaatsbildungen, Großmächtepolitik und Imperialismus, sozialer Wandel und Globalisierung sowie Themen aus der Religions-, Alltags-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte behandelt. 

Der Einschreibeschlüssel wird vor Semesterbeginn per Email verschickt.



Theorie- und Methodenteil: Im Seminar soll zweierlei geleistet werden. Zum einen sollen die methodischen und analytischen Grundlagen der Area Studies diskutiert und danach gefragt werden, welche neue Perspektiven der Erkenntnis – besonders in Bezug auf das östlichen Europa – sie bieten können. Zum anderen sollen die am Studiengang beteiligten geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer vorgestellt und ihre Schnittmengen herausgearbeitet werden. Welche Theorien und welche Paradigmen waren und sind für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Osteuropa maßgeblich und welchen Wandlungen lassen sich diesbezüglich feststellen? Durch die Diskussion solcher Fragen sollen die Entwicklungen der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften fächerübergreifend analysiert werden.

Rechercheteil: Der praktische Teil der Veranstaltung dient der Aneignung von „Informationskompetenz“ bzw. „library literacy“ im Bereich Osteuropa. Welche einschlägigen Informationsquellen (Bibliotheken, Archive, Internet) gibt es in- und außerhalb Deutschlands? Für welche Fragestellungen sind welche Findmittel (Kataloge, Repertorien, Volltextdatenbanken, Suchmaschinen u.a.) zu wählen? Wie sind diese Findmittel effizient und sachgerecht zu nutzen? Der Schwerpunkt wird hierbei auf der Nutzung elektronischer Medien liegen, es werden auf die Interessen der Teilnehmer*innen abgestimmte Übungsaufgaben verteilt.


In der Zeit vor und nach 1945 hatten sich Millionen von Migranten aus Ostmitteleuropa in alle Welt verstreut, weil sie ihre Heimatländer während des Nationalsozialismus bzw. nach Kriegsende und während der kommunistischen Ära verließen. In den neuen Destinationen gründeten sie Zeitschriften in ihren Herkunftssprachen und den Landessprachen vor Ort, um sich auszutauschen und zu informieren. Im Vertiefungskurs wird neben den historischen Hintergründen der Migration eine praktischer Fokus auf die digitale Erschließung und Erforschung solcher Nachkriegszeitschriften gelegt. Neben der Geschichte Ostmitteleuropas spielen daher auch erste Einblicke in die Digitale Geschichtswissenschaft eine Rolle (keine IT-Vorkenntnisse erforderlich, Fremdsprachenkenntnisse erwünscht, aber nicht erforderlich).

Prüfungsform im Master  und GSP (alt+neu): RE + HA

 


Ostmitteleuropa war im langen 20. Jahrhundert Schauplatz radikaler politischer Veränderungen. Die Vorlesung vergleicht die Transformationen um 1918, als nach Auflösung der Imperien die neuen Nationalstaaten Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Österreich sowie kurzzeitig die Ukraine entstanden, mit der Epoche seit 1989, als nach dem Untergang des Staatssozialismus viele dieser Länder den Eintritt in die Europäische Union anstrebten. Die Vorlesung fragt damit auch nach den zeitgeschichtlichen Grundlagen der heutigen Kultur des Politischen in der Region.


Prüfungsform im BA und mod. LA (Studienbeginn bis SOSE 2020): KL
Achtung NEU!
keine Prüfung im BA und LA (Studienbeginn ab WISE 2020/21)
keine Prüfung im Didaktikfach - Mittelschule und Sonderpädagogik (Studienbeginn ab WISE 2015/16)


In der Nachkriegszeit entwickelte sich München zu einem Zentrum des osteuropäischen Exils. Gegner der kommunistischen Regime in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa fanden Zuflucht an der Isar und entwickelten hier Netzwerke. Das zog die Aufmerksamkeit der osteuropäischen Geheimdienste auf sich. Bis in die 1980er Jahre verübten diese in München zahlreiche Bomben- und Mordanschläge, von denen viele bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Exilanten aller politischer Couleur fielen ihnen zum Opfer: Nationalisten wie die Ukrainer Lew Rebet (1912–1957) und Stepan Bandera (1909–1959), aber auch Kommunisten wie der Prager Deutsche Wolfgang Václav Salus (1909–1953). Ein Höhepunkt der Serie war der Bombenanschlag auf den Radiosender Radio Free Europe im Jahr 1981, der acht Menschen teils schwer verletzte.

In letzter Zeit hat das öffentliche Interesse an der Mordserie und ihren politischen Auswirkungen zugenommen.[1] Der Projektkurs will dieses Kapitel des Kalten Kriegs und der Münchner Stadtgeschichte weiter im öffentlichen Bewusstsein verankern. Dafür soll ein digitaler Stadtführer als Smartphone-App und ggf. auch als Website erstellt werden, der die Tatorte und weitere relevante Schauplätze des Exils als Stadtrundgang erschließt. Zu jedem Ort werden Informationen in Form von Text, Bildern und ggf. auch Audio-Dateien zur Verfügung gestellt. Als Quellenmaterialien kommen, soweit zugänglich, zeitgenössische Presseberichte, Polizei- und Gerichtsunterlagen, Geheimdienstquellen (z. B. Open Society Archives Budapest) und Ego-Dokumente in Frage.

Ausgehend von den Kriminalfällen vermittelt der Kurs Einblicke in die breitere Geschichte des osteuropäischen Exils. Der Kurs und die App sollen beleuchten, welche Strukturen und Aktivitäten die Exilanten entwickelten, welche politischen Ziele sie verfolgten und in welchem Verhältnis diese zu den Behörden standen. Neben liberalen Dissidenten und Menschenrechtlern fanden auch ehemalige NS-Kollaborateure in München Zuflucht. Den Studierenden wird daher ein kritischer Umgang mit nationalen Opfernarrativen antikommunistischer Geschichtsschreibung in Osteuropa vermittelt. Außerdem sollen die Verflechtungen mit bundesdeutscher Erinnerungskultur herausgearbeitet werden. Die App soll dadurch einerseits Kriminal- und Geheimdienstgeschichte öffentlichkeitswirksam aufarbeiten, andererseits aber auch Kenntnisse der Verflechtungsgeschichte Münchens mit dem östlichen Europa vermitteln.



[1] Jakob Wetzel, Blutspur durch München. In: Süddeutsche Zeitung, 19.02.2021 (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/spione-agenten-anschlaege-blutspur-durch-muenchen-1.5211141). ARD-Dokumentation „Mord in Titos Namen - Geheime Killerkommandos in Deutschland“ (2014), https://www.youtube.com/watch?v=uF9Ak1uleyw.

Katharina II. herrschte mehr als drei Jahrzehnte über das Zarenreich. Als Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren, bestieg sie 1762 den Thron Russlands an der Seite Peters III. Sie stürzte ihren Gatten wenige Monate später, um ohne dynastische Legitimation Russland zu regieren. Ihre Zeit als Kaiserin wird wie nur die Peters I. als eine Periode staatlicher Reform und außenpolitischer Expansion angesehen. Zu diesem Bild trugen die Teilungen Polens, die Inkorporation Neurusslands und der Krim, die Anwerbung deutscher Siedler und die Auseinandersetzung mit der Aufklärung bei. Zum Ende ihrer Herrschaft war Russland fest als europäische Großmacht etabliert.

Im Seminar diskutieren wir die Grundlinien und Ambivalenzen ihrer Herrschaft, zu der nicht nur Reformen, sondern auch die Beibehaltung und Verschärfung der Leibeigenschaft gehörten. Ein wichtiger Schwerpunkt des Seminars wird auf der Quellenarbeit liegen, durch die wir den Einfluss der Zarin auf Russlands Stellung in Europa sowie auf Russlands Sozialstruktur, Wirtschaft und Kultur bestimmen wollen.

Literatur: Scharf, Claus (Hg.): Katharina II., Russland und Europa. Beiträge zur internationalen Forschung. Mainz 2001 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft Abteilung für Universalgeschichte, Bd. 45); Kamenskij, Aleksandr B.: Catherine the Great. A reference guide to her life and works. London 2020.


Wirtschaftliche Not, Verdienstchancen, Geschäftssinn, religiöse Motive und Neugier führten zur Auswanderung in das Russische Reich. Seit der Zeit der Kiever Rus’ kamen Ausländer als Kaufleute, Diplomaten, Kriegsgefangene, Spezialisten und Bauern nach Russland. Religiöse Toleranz und Privilegien wie Steuerfreiheit, Landzuteilung und Befreiung vom Militärdienst lockten die Auswanderer an. Ein entscheidender Impuls zur Besiedlung der neu gesicherten Steppe im Süden Russlands durch Ausländer ging von Katharinas II. Anwerbungsmanifesten aus, denen insbesondere Siedler aus Südwestdeutschland folgten. Katharinas II. 1762 begonnene Politik wurde unter Alexander I. Anfang des 19. Jahrhunderts fortgeführt. Siedlungsgebiete für die Kolonisten im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden vor allem an der unteren Wolga und am Schwarzen Meer, aber auch in Georgien.

Die Übung bietet anhand der Geschichte der Migration nach Russland eine Einführung in die Migrationsforschung. Sie verfolgt die Wege der Auswanderer und ihr Schicksal in Russland. Das Hauptaugenmerk wird auf der Zeit vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhunderts liegen.

 

Literatur: Beer, Mathias; Dahlmann, Dittmar (Hg.): Migration nach Ost- und Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, 1999; Lüthi, Barbara: Migration and Migration History, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 28.09.2010; Eisfeld, Alfred (Hg.): Einwanderung in das Wolgagebiet 1764-1767, Göttingen 1999; Dönninghaus, Victor; Panagiotidis, Jannis; Petersen, Hans-Christian (Hg.), Jenseits der "Volksgruppe". Neue Perspektiven auf die Russlanddeutschen zwischen Russland, Deutschland und Amerika, Berlin/Boston 2018.